Zur Geschichte des Forschungsbereichs Kunstgeschichte

Unter den kunsthistorischen Lehrstühlen im deutschen Sprachraum nimmt jener an der Technischen Universität Wien aus historischer Sicht eine herausragende Stellung ein. Bereits 1810 beabsichtigte der designierte Direktor Johann Joseph Prechtel am zu gründenden Polytechnischen Institut, wie die Technische Universität Wien damals hieß, einen Lehrstuhl für die Geschichte der Künste und Gewerbe mit dem Ziel einzurichten, die Geschmacksbildung zu fördern. Die erste Vorlesung des renommierten Kunsthistorikers Rudolf Eitelberger (1817-1885) mit dem schlichten wie allumfassenden Titel Über Kunstgeschichte wurde dann erst 1849/50 abgehalten und richtete sich an Architekten und Gewerbetreibende; etwa gleichzeitig erfolgte die Institutionalisierung des Faches an der Universität Wien, ebenfalls unter Rudolf Eitelberger.

Polytechnische Institute, wie jenes in Wien (ab 1872 Technische Hochschule Wien, ab 1975 Technische Universität Wien), waren bei der Begründung der Kunstgeschichte als akademische Wissenschaft bedeutsam. Ab 1866 wurden unter dem Archäologen Karl von Lützow (1932-1897) regelmäßig Vorlesungen zur Geschichte der Baukunst angeboten, eine ordentliche Professur für Kunstgeschichte übertrug man ihm jedoch erst 1882. Lützow, wie sein 1899 ernannter Nachfolger Joseph Neuwirth (1855-1934), unterrichteten Allgemeine Kunstgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Baukunst. Im Rahmen der technischen Ausbildung erhob die kunsthistorische Lehre einen universellen, ja bildungspolitischen Anspruch. Neuwirth regte auch die Einführung des Faches Denkmalpflege in der Architektenausbildung an. Der 1926 berufene Moritz Dreger (1868-1939) erweiterte das Lehrangebot um Museumsführungen und kunsthistorische Seminare.

Die Nachbesetzung der Stelle Dregers wurde nur als außerordentliche Professur, die Karl Ginhart (1888-1971) übernahm, bewilligt. Die Ernennung zum ordentlichen Professor 1942 stand hingegen in Zusammenhang mit Ginharts Eintritt in die NSDAP. Dem Denkmalpfleger und Vertreter einer nordisch geprägten österreichischen Kunstgeschichte gelang es, nach seiner Entnazifizierung, den Lehrstuhl von 1948 bis zu seiner Emeritierung 1960 weiterzuleiten. Eine ähnliche Gesinnung hatte das einstige NSDAP-Mitglied Walter Frodl (1908-1994), der die Lehre im Bereich der Denkmalpflege vertiefte und die Kontakte zum Bundesdenkmalamt intensivierte.

Mit der Berufung von Gerold Weber (1941-2008) 1983 erfolgte eine methodische und inhaltliche Öffnung des Faches, auch im Sinne einer globalen Kunstgeschichte. Robert Stalla (geb. 1957) verstärkte von 2004 bis 2022 die internationale und interdisziplinäre Ausrichtung des Faches und diskutierte theoretische und praktische Fragestellungen im Rahmen von Ausstellungen, Publikationen und Tagungen. 2023 übernahm Harald R. Stühlinger den Forschungsbereich Kunstgeschichte.

Alle Professoren verzeichneten, neben ihrer Lehre, eine umfangreiche publizistische Tätigkeit mit einem Schwerpunkt auf der Architekturgeschichte und bezogen auch öfters zu zeitgenössischen Fragen der Architektur und Kunst Stellung.

Text
Sabine Plakolm-Forsthuber
Recherche
Atreju Allahverdy
Literatur
Robert Stalla (Hrsg.), Kunstgeschichte an Polytechnischen Instituten, Technischen Hochschulen, Technischen Universitäten. Geschichte – Positionen – Perspektiven, Wien/Köln /Weimar 2021
Quellen
Archiv der Technischen Universität Wien Österreichisches Staatsarchiv
  • 1849-1850
    Rudolf Eitelberger
  • 1867-1897
    Karl von Lützow
  • 1899-1926
    Joseph Neuwirth
  • 1926-1936
    Moritz Dreger
  • 1936-1945, 1948-1960
    Karl Ginhart
  • 1960-1979
    Walter Frodl
  • 1983-2002
    Gerold Weber
  • 2004-2022
    Robert Stalla

Selbstverständnis und Zukunft

Die Frage nach der Kunst und nach der Geschichte bestimmt das Selbstverständnis des Forschungsbereichs Kunstgeschichte an der Fakultät Architektur der TU Wien. Kunst wird an unserem Forschungsbereich umfassend und erweitert verstanden. Geschichte sehen wir nicht als ein starres Konstrukt, das vor einigen Jahrzehnten endete, sondern als nicht abgeschlossene Ära, die unablässig und gleichermassen auf unsere Gegenwart wie auch auf die Zukunft wirkt.

Das Team des Forschungsbereiches Kunstgeschichte an der TU-Wien wirkt durch seine mannigfachen wissenschaftlichen Tätigkeitsbereiche in die Wiener Stadtgesellschaft, verankert die Disziplin Kunstgeschichte mit einem Schwerpunkt auf Architekturgeschichte in der Bildungslandschaft von Wien und Österreich und trägt bei zum nationalen und internationalen architektur- sowie kunsthistorischen Diskurs.

Kunstgeschichte umfasste, als sie im 19. Jahrhundert als wissenschaftliche Disziplin gegründet wurde, die Gattungen Architektur, Malerei und Skulptur. Inzwischen sind andere Kunstgattungen hinzugekommen und es werden wohl noch einige folgen. Die Mitarbeiter:innen am Forschungsbereich Kunstgeschichte überwinden in ihrer Arbeit Grenzen zu nahen und fernen wissenschaftlichen Disziplinen und denken, arbeiten und lehren holistisch sowie transdisziplinär.

Neben dem stets erweiternden Korpus der Werke der «Meister:innen» richtet sich der Blick auf jene, die in deren Folge stehen und standen oder auf jene, die nicht Teil des Kanons sind. Den drängenden Fragen der Zeit Rechnung tragend, zielen die Themen auf das Verhältnis von historischen Werken (Kunstwerke, Bauten, Infrastrukturen etc.) und deren zukunftsfähigen Weiterbestands, ganz im Sinne der Diskussionen um Ressourcenschonung, Klimakrise und Identitätsstiftung. Das Heute verstehen durch die Geschichte.

Teaching

Im Forschungsbereich Kunstgeschichte wird den Studierenden der Architektur fachliches, methodisches und auch sensorisches Wissen über die bildenden Werke aus der Geschichte mitgegeben. Neben der Wissensvermittlung legen wir besonderen Wert auf die Entwicklung eines umfassenden Sensoriums. Kunstgeschichte als Schule des Sehens. Und in der Anschauung von originalen Objekten – ausserhalb des Hörsaals – ein sinnliches Erfahren der Haptik von Oberflächen, der Vielfalt der Materialien wie auch akustischer Situationen. Dies alles vor dem Hintergrund der Einbettung der Werke in einen historischen Kontext, deren Entstehung und Rezeption im Laufe der Zeit sowie deren Präsenz und Wirkung im Heute. Kunstgeschichte als Hinwendung zum Objekt.
Einen Schwerpunkt bildet die Kunstgeschichte Europas. In der Hauptvorlesung «Architektur- und Kunstgeschichte» sowie in zusätzlichen Lehrgefässen wird der Blick auf das künstlerische Schaffen ausserhalb Europas gelenkt.

Insgesamt trägt der Forschungsbereich Kunstgeschichte dazu bei, dass Absolvent:innen des Architekturstudiums befähigt sind, sich einen kritischen Umgang mit Sachverhalten anzueignen und damit eine eigene Haltung und Meinung zu entwickeln. Für das Leben nach der universitären Ausbildung legen wir die notwendigen Grundlagen und geben Werkzeuge an die Hand, damit unsere Studierenden später in unterschiedlichen Bereichen der Berufswelt zu bestehen vermögen. Kunstgeschichte als Baustein für ein sinnvolles Leben.

Research

Wir verstehen das Stellen von Fragen in unserem Forschungsbereich als wesentliche Aufgabe, um auf die drängenden Herausforderungen, die uns die derzeitigen Krisen stellen, zu reagieren und zu reflektieren sowie einen substantiellen Beitrag für eine tragfähige Zukunft zu leisten.

Der Forschungsbereich Kunstgeschichte stellt sich die Aufgabe in einer Stadt zahlreicher herausragender historischer Architektur einen Schwerpunkt auf die Erforschung bisher unberücksichtigter Felder zu legen. Wie es auch darum geht, schmerzliche Lücken innerhalb der Architektur- und Kunstgeschichtsforschung, sei dies lokal, regional oder national zu schliessen.
Forschung verstehen wir als Chance im nationalen und internationalen fachlichen Diskurs gehört zu werden und sichtbar zu sein. Darüber hinaus stehen wir als kompetenter und verlässlicher Partner für Fragen der historischen Artefakte und Bauten bereit mitzuwirken an der Arbeit für die Zukunft mit dem Wissen um die Vergangenheit.
Kunstgeschichte für Bewusstseinsbildung

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