Lehrveranstaltungen

Modul Architektur- und Kunstgeschichte
WS 2023/2024 | 251.692 MOD | 8.0 h | 10.0 EC | LVA Nummer 251.692 im TISS
Univ.Ass.in Dipl.-Ing.in Mag.a phil. Theresa KNOSP

Semantiken der Postmoderne – Dekorierte Schuppen und Versailles fürs Volk

Im Modul „Architektur- und Kunstgeschichte“ widmen wir uns den erzählerischen Strategien und der Bedeutung dekorativer Elemente und Symbole in der globalen Architektur der Postmoderne.

Mit Louis Sullivans 1896 formuliertem Leitsatz „form ever follows function” schien für die Architekturentwicklung des 20. Jahrhunderts eine allgemeingültige und unhintergehbare Regel zementiert. Die Reduktion der Formgebung und Gestaltung eines Gebäudes auf dessen Bestimmung und Zweck sollte paradigmatisch für die Architektur der Moderne werden. Mit dem Bauhaus und den progressiven Architekturschulen verbannte etwa Walter Gropius die Architekturgeschichte aus der Architekt*innenausbildung – und damit nicht nur das seit der Jahrhundertwende diskutierte Ornament, sondern auch die Verwendung historischer Zitate, symbolisch-ikonografischer Programme, also letztlich der historisch etablierten Bildsprache der Architektur. Diesem funktionalistischen Verständnis folgte auch der “International Style”, der global gleichermaßen anwendbar, die Architektur von der Kunst trennte, die wenn dann in abstrakter Form als Teil der Ausstattung eines Gebäudes fungierte. Parallel etablierten die CIAM ab 1928 umfassende städtebauliche Modelle rationaler, auf Funktionstrennung basierender Stadt- und Siedlungsstrukturen – auch zur Neuordnung und Auflockerung der bestehenden Städte.

Entscheidend infrage gestellt wurden diese Prinzipien in der Architektur und den bildenden Künsten erst etwa siebzig Jahre nach Sullivans zitiertem Aufsatz, wenngleich gegensätzliche Strömungen bereits vorher schon existierten. Charles Jencks erklärte den 1972 live im US-Fernsehen übertragenen Abriss der erst 1958 fertiggestellten Wohnsiedlung Priutt-Igoe in St. Louis gar zum „Todeszeitpunkt“ der modernen Architektur. Im selben Jahr legten Denise Scott Brown, Robert Venturi und Steven Izenour ihren Bestseller Learning from Las Vegas vor, in dem sie anstelle der Bauten der funktionalen Moderne die Zeichenhaftigkeit, Symbolik und Bedeutung von Alltagsarchitektur in den Fokus rückten. Eine Revision der Grundsätze der Moderne, welche die Fiktion anstatt der Funktion ins Zentrum gewollter architektonischer Entwurfsansätze stellte, zeichnete sich ab den 1960er-Jahren mit regional verschiedenen Tendenzen, formell abweichenden Ansätzen und auf häufig auch widersprüchlichen theoretischen Grundlagen ab. Jene von Jencks 1977 in The Language of Post-Modern Architecture zusammengefassten Bauten fallen etwa durch ihre (wieder) der Architekturgeschichte entlehnten Elemente wie Säulen, Giebel und Rundbögen auf. Mit den rezenten Bauweisen, Werkstoffen und Ausstattungen kombiniert, lassen diese Architekturen jedoch unterschiedliche, teils vielschichtige Lesarten und Interpretationen zu, die neben symbolischen Verweisen auf Bestimmung und Zweck, Historie und Kontext häufig auch weitere gestalterische Intentionen und Anspielungen nahelegen. Während der Begriff „postmodern“ zunächst einmal einen Abschluss des Phänomens der Moderne und einen darauffolgenden Neuanfang in stilistischer oder theoretischer Hinsicht suggeriert, zeigen sich die unterschiedlichen Ansätze und entwerferischen Strategien, die unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst werden, aber nicht automatisch als ein gewollter Bruch oder wirklicher Neuanfang. Mit den Bezeichnungen der „Revision der Moderne“ und der gleichnamigen Gründungsausstellung des Deutschen Architekturmuseums 1984 konturierte Heinrich Klotz die postmodernen Phänomene der Architektur als sich durch das Anliegen konstituierende Strömung anstatt eines vermeintlichen Stils und beabsichtigte später mit der Bezeichnung der „Zweiten Moderne“, auch dem Eindruck eines allzu radikalen  „Bruches“ mit sämtlichen Grundsätzen der Moderne entgegenzuwirken.

Der gemeinsame Ansatz der thematisierten Architekturen und ihrer Entwerfenden liegt in der Forderung nach einer Architektur, die – anders als die auf reduzierte stereometrische Formen bauende Moderne – facettenreiche, bildhafte und abbildhafte Formen, Schmuck und Ornament wieder vorsieht und auf der Verwendung von Zeichen und Symbolen beruht. Deren Gebrauch als mit Aussagen und Bedeutung aufgeladene Elemente an den Fassaden und in Bauten kann als eine bildhafte Semantik verstanden werden.

In den unter dem Schlagwort der „Postmoderne” versammelten Architekturen finden sich gleich mehrere Ebenen individueller architektonischer Semantiken, die wie im Modul Architektur- und Kunstgeschichte näher betrachten und untersuchen werden. Im theoretischen Spannungsfeld zwischen einer vehementen Gegensätzlichkeit zur Moderne und deren fortwährender Erneuerung werden wir die unterschiedlichen Strategien beim narrativen Gebrauch der typologischen Formen von Räumen und Bauteilen, Zeichen und Symbolen an Fassaden in den Blick nehmen. Bekannte internationale Beispiele finden sich etwa im Schaffen von Protagonist*innen wie Denise Scott Brown, Robert Venturi, Rob Krier, Ricardo Bofill, Michael Graves, Kengo Kuma, Arato Isozaki, James Stirling oder Hans Hollein. Dabei interessieren uns die Zusammenhänge zwischen den funktionalen Eigenschaften der Bauwerke und dem Gebrauch der fiktionalen Absichten, welche die Gebäude zu gestalteten, mit Bedeutung aufgeladenen und lesbaren Werken machen. Es wird aber auch immer wieder die Frage nach der Kontinuität von Prinzipien und Positionen der Moderne bei deren kritischer Revision im Sinne des Weiterentwickelns oder der strikten Ablehnung zu bedenken sein. Hierzu werden wir die architektonische Postmoderne in ein Verhältnis zu den zeitgleichen Debatten in den Gesellschafts- und Kulturwissenschaften setzen, die unter demselben Begriff zusammengefasst wurden.

Im Seminar „Vertiefung Architekturgeschichte“ werden wir gemeinsam ausgewählte internationale Beispielbauten von Denise Scott Brown und Robert Venturi, Charles Moore, Philip Johnson, Ricardo Bofill, James Stirling, Michael Graves, Aldo Rossi, Hans Hollein u. a. betrachten und analysieren, in denen sich verschiedenste internationale Einflüsse in gestalterischer und typologischer Hinsicht sowie technische Neuerungen manifestierten. Die Teilnehmer*innen halten ein Referat über ein Bauwerk, entweder im Seminarraum oder im Rahmen kleinerer Exkursionen in Wien, beteiligen sich an Diskussionen und verfassen eine Seminararbeit zu ihrem Thema.

 

Die Lehrveranstaltung „Projektseminar und Seminarwerkstatt“ ist auf das Vertiefungsseminar abgestimmt und soll den Modul-Teilnehmer*innen durch das gemeinsame Erarbeiten von Hintergrundwissen die thematische Vertiefung ermöglichen und ein Forum für gemeinsame Diskussionen zum Modulthema aber auch zur eigenen Seminararbeit darstellen. Gemeinsam beleuchten wir die zeitgenössischen theoretischen Grundlagen in der Architektur etwa von Denise Scott Brown und Robert Venturi, Charles Jencks und Heinrich Klotz aber auch aus der Philosophie und Soziologie wie von Jean-François Lyotard und Jean Baudrillard. Die Studierenden entwickeln ihre Fähigkeiten zur kritischen Analyse historischer Bauten und Quellen durch gemeinsame Lektüre-Diskussionen und Exkursionen. Geplant ist es, die Ergebnisse der Arbeiten des „Vertiefungsseminars“ abschließend  graphisch aufbereitet für eine Ausstellung mit einer Begleitpublikation zu verdichten, wobei die Teilnehmer*innen unterstützt und begleitet werden.

Durch den begleitenden Kurs „Methodologie und Terminologie“ werden die Studierenden auf die im Vertiefungsseminar zu haltenden Referate und die zu verfassenden Seminararbeiten vorbereitet. Nach positiver Absolvierung der Lehrveranstaltung sind Sie in der Lage, grundlegende wissenschaftliche Arbeitsweisen, Methoden und Grundbegriffe des Faches Kunstgeschichte kritisch zu hinterfragen und selbstständig anzuwenden.

In der zugehörigen Ringvorlesung „Aktuelle Tendenzen in der Architektur“ werden durch Vorträge von Fachleuten aus der Kunst- und Architekturgeschichte, der Architekturpraxis sowie benachbarter Disziplinen – in Theorie und Praxis relevante – zeitgenössische Aspekte, denkmalpflegerische Fragen und aktuelle Forschungsfelder thematisiert und mit den Studierenden diskutiert.

Ergänzt wird das Modul durch eine freiwillige Exkursion nach London. Für diese Lehrveranstaltung erhalten die Teilnehmer*innen ein zusätzliches Zeugnis (251.781: Exkursion Architektur- und Kunstgeschichte, 2 ETCS).

 

Die Modalitäten der einzelnen Lehrveranstaltungen des Moduls entnehmen Sie bitte den jeweiligen TISS-Einträgen.