Profil

„[…] wir sind interessiert
am Lernen von der Geschichte
bei gleichzeitiger Fortentwicklung.
Wir wollen die Geschichte nicht
wiederbeleben, aber diese Brücke
zwischen gestern und heute bauen.“

Brücken zwischen gestern und heute:
David Chipperfield im Interview,
in: Der Standard, 08.10.2007.

Kunstgeschichte an der Technischen Universität Wien

Der Forschungsbereich Kunstgeschichte versteht sich mit ihrer theoriegeleiteten Ausrichtung innerhalb der Fakultät für Architektur und Raumplanung in einer Sonderposition im Rahmen der Architekt_innenausbildung an der TU Wien. In Ergänzung zur entwurfsorientierten Ausbildung wird an unserer Abteilung die Einheit von Forschung und Lehre besonders intensiv betrieben und gefördert, wie sie einer Universität vor allem in Abgrenzung zur Fachhochschule zukommt. Wissenschaftliches Arbeiten wird hier von den Lehrenden nicht nur selbst praktiziert, sondern an die Studierenden vermittelt. Dies versetzt sie in die Lage, eigene entwerferische Praxis kritisch zu reflektieren und historisch zu kontextualisieren.

Durch die Arbeit an unserer Abteilung wird darüber hinaus das Spektrum erreichbarer Berufsfelder für die Studierenden geweitet. Durch die Möglichkeit, selbst Vorträge zu halten, Veröffentlichungen und Ausstellungen zu begleiten, sowie die Verbindung zu universitären und außeruniversitären Einrichtungen bekommen Studierende die Chance, eigene Erfahrungen in der architektur- und kunsthistorischen Forschung zu sammeln sowie fachspezifische Kompetenzen zu erwerben.

Der Abteilung Kunstgeschichte der TU kommt dabei mit einem inhaltlichen Schwerpunkt auf der Architekturgeschichte und der Verbindung zur Kunstgeschichte eine Schlüsselposition in der Wiener Hochschullandschaft zu: Durch das inzwischen sehr minimierte Angebot architekturhistorisch ausgerichteter Lehrformate an der Universität Wien ist das profunde Studium der Architekturgeschichte vor allem des 19. bis 21. Jahrhunderts in Wien inzwischen nur mehr am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege der TU Wien möglich.

Gestern

Bereits im Erstentwurf für die Organisation des Polytechnischen Instituts von 1810 war die Kunstgeschichte, die als akademisches Fach an europäischen Universitäten noch kaum etabliert war, als ordentlicher Lehrgegenstand vorgesehen. Erste Kunstgeschichte-Vorlesungen für das Studium der Baukunst hielt hier ab 1849 Rudolf von Eitelberger — Jahre vor der Gründung des Kunsthistorischen Institutes an der Universität Wien. 1867 wurde schließlich die außerordentliche Professur am Polytechnischen Institut, 1882 das Ordinariat für Kunstgeschichte an der TH in Wien eingerichtet, auf das Karl von Lützow und nachfolgend Joseph Neuwirth, Moritz Dreger, Karl Ginhart, Walter Frodl und Gerold Weber berufen worden.

Forschung und Lehre zielten von Anfang an — grundlegend für das Selbstverständnis der »Wiener Schule« für Kunstgeschichte — auf die Verbindung von Theorie und Praxis. Im Zentrum des Unterrichts stand die Architekturgeschichte, die um Ausblicke und Quellenschriften zur Architekturgeschichte sowie ausgewählte Beispiele der Malerei und Plastik ergänz wurde. Während des Historismus bestand die Aufgabe des Fachs zuvorderst in der Bereitstellung einer verbindlichen Mustersammlung von Formen, Motiven, Typen und Strukturen, deren Kenntnisse während dieser Zeit für Architekten unabdingbar waren. Die Analyse der behandelten Gegenstände wurde fruchtbar gemacht, etwa im Hinblick auf den Erhalt von Denkmälern, den Umgang mit künstlerischen Zeugnissen im musealen Kontext oder den Austausch mit zeitgenössischen Architektur- und Kunstschaffenden. Dies führte auch zu einer engen Wechselwirkung zwischen architektur- und kunsthistorischer Forschung und architektonischer Praxis.

Heute

Die Anforderungen an die Kunstgeschichte, die sich an technischen Universitäten weiterhin Fragen der Architektur im breiten künstlerischen Kontext zuwendet, haben sich über die letzten Jahrzehnte im Zuge von Inter- und Transdisziplinarität sowie des rasanten Wandels des Architekturberufs grundsätzlich verändert. Heute ist das Fach nicht nur eine feste Größe im Bildungskanon der Architekturschaffenden, sondern auch etwa im Entwurfsprozess. Im Zentrum steht aber die Verantwortung, die Architektur kritisch zu reflektieren und den qualitativen Fortschritt sowie den Wandel ästhetischer Erscheinungsformen im Kontext von Theorie und Geschichte, von kulturellen, politischen, historischen und sozialen Faktoren offenzulegen.

Das Fach erforscht die Wissensbestände von Architektur und Kunst, die Entwicklung des architektonischen und künstlerischen Vokabulars. Es beleuchtet die zunehmende Ausdifferenzierung funktionaler Anforderungen der Bauwerke. Und es untersucht die Vielfalt von Handlungskonventionen, denen alle unterliegen, die Architektur und Kunst konzipieren, beauftragen, nutzen oder rezipieren. Ganz wesentlich ist hierbei das Bewusstsein, dass architektonischer und künstlerischer Entwurf nie ex nihilo entstehen, sondern stets das Ergebnis eines komplexen Geflechts zeitgenössischer und historischer Erfahrungsmuster und Brüche darstellen. Neben der Förderung des ästhetischen Verständnisses wird eine weitere Aufgabe darin gesehen, die historiographischen und hermeneutischen Analysen mit der Kenntnis wissenschaftlicher Methoden – Stilkritik, Strukturanalyse, Ikonographie, Ikonologie, Rezeptionsästhetik, Gender Studies, Cultural Studies etc. – zu verbinden. Fragen dann das weite Spektrum des architektonischen und künstlerischen Denkens von den Anfängen bis zur Gegenwart zielen dabei immer auch auf Antworten, die die Positionen des aktuellen Architektur- und Kunstdiskurses näher bestimmen und begreifbar machen. Die Konfrontation mit der Geschichte schafft ein Verständnis für die historische Verortung der eigenen architektonischen Tätigkeit.

Die Abteilung Kunstgeschichte der TU Wien – seit 2004 gemeinsam mit den Abteilungen Baugeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege in einem Institut zusammengefasst – stellt sich diesem veränderten Aufgabenprofil durch eine internationale und interdisziplinäre Ausrichtung des Faches. Das breite Spektrum an Lehrveranstaltungen, die unter anderem in Kooperation mit anderen Wiener Universitäten abgehalten werden (zuletzt Raumkonzepte in der Malerei der Frührenaissance, Weltausstellungsarchitekturen, Stilfragen der Moderne und wegweisende Einzelpersönlichkeiten der Architekturgeschichte), zielt mit den weiten inhaltlichen Horizonten auf den Dialog zwischen theoretischen und praktischen Fragestellungen. 2012/13 stand im Modul »Architektur- und Kunstgeschichte« die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der in der Akademie der bildenden Künste Wien gezeigten Ausstellung »Theophil Hansen. Architekt und Designer« im Zentrum.
2014/15 galt dem Themenkomplex »Architektur und Kunst/Architektur als Kunst«, der in Kooperation mit Ottmann Architekten München, dem Stadtbauamt München und dem Diözesanbauamt München untersucht wurden. Entsprechend vielseitig zeigen sich auch die Forschungsschwerpunkte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von Fragen zur Architektur, Malerei und Plastik vom Mittelalter bis zur Neuzeit reichen und u. a. den barocken Concetto, aber auch Wohn- und Nutzbauten des 20. und 21. Jahrhunderts mit einbeziehen.

Morgen

Die Kunstgeschichte wird auch in Zukunft den weiteren Veränderungen und zunehmenden Komplexitäten des Architekturberufs sowie den Umwälzungen im Bauwesen Rechung tragen und diese kritisch mitgestalten. Drei Aspekten könnte aus heutiger Sicht besondere Bedeutung zukommen:
Dem Fach kommt eine Schlüsselfunktion bei den Bewertungsfragen der gesamten Baukultur zu — und zwar nicht nur der historischen, sondern zunehmend auch der jüngeren und jüngsten Vergangenheit.
Dies wird gerade dadurch unterstrichen, dass historische Bauten einen zunehmend größeren Stellenwert im architektonischen Aufgabenfeld ausmachen und die Zeitspanne zwischen Fertigstellung und konstatiertem Kultstatus immer kürzer wird.
Das Fach wird forthin verstärkt seine Brückenfunktion bei der Vermittlungsarbeit zwischen Architektenschaft und breiter Öffentlichkeit wahrnehmen müssen, die zunehmend interessierter, sensibler und kritischer auf Um- und Neubauprojekte reagiert.