„Designing Hygiea“ (Benjamin Ward Richardson, 1876). Architektur, Städtebau und die „gesunde“ Stadt im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts

„Designing Hygiea“ (Benjamin Ward Richardson, 1876). Architektur, Städtebau und die „gesunde“ Stadt im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts

„Designing Hygiea“ (Benjamin Ward Richardson, 1876). Architektur, Städtebau und die „gesunde“ Stadt im Zentraleuropa des 19. Jahrhunderts

Workshop, Wien, 1.-2.10.2020
Konzept: Dr. Richard Kurdiovsky (ÖAW), Dr. Oliver Sukrow (TUW)
Programm und Anmeldung: https://www.oeaw.ac.at/ihb/detail/event/designing-hygiea/

Im Zuge der Herausbildung Wiens als moderne Metropole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rückten kritische Fragen nach dem Stand der gesunden bzw. hygienischen Lebensverhältnisse der Bewohner/innen vermehrt ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit und von Fachkreisen. Beeinflusst durch und verbunden mit den Fortschritten in den Naturwissenschaften und in der Medizin, welche vor Ort mit der sog. „Wiener Medizinischen Schule“ einen wesentlichen Diskurstreiber besaßen, berührten sich gerade in Wien die Felder von Medizin, Architektur und Städtebau. Während bislang aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive v.a. auf die Ausbildung und Entwicklung des medizinischen Expertenwissens nach den Josephinischen Reformen der Aufklärung geblickt wurde, blieben in diesen Studien die Bezüge zu Architektur und Städtebau zumeist unterbelichtet. Auf der anderen Seite thematisierten Untersuchungen zur Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts nur kaum oder sehr selten medizinische Fragen bzw. den Einfluss medizinischer Entwicklungen auf architektonische Gestaltungen.

Dabei ist festzustellen, dass das Problem des „gesunden“ bzw. „hygienischen“ Raums bereits früh mit städtebaulichen und architektonischen Überlegungen verknüpft wurde. So entwickelte ein Arzt, Carl Böhm, für die Hofoper eine beispielhafte Belüftungsanlage, deren Prinzip für viele öffentliche Gebäude der Ringstraße übernommen wurde, und Fragen von Gesundheit und Hygiene bestimmten die Bauordnung von 1868 wie den Regulierungsplan für Wien von 1893 von Eugen Faßbender. Während in Wien bereits seit dem 18. Jahrhundert die Form des temporären Aufenthalts in den Vororten und am Land in den Sommermonaten fest etabliert ist, werden durch das urbane Wachstum und das Ausgreifen der Stadt in die Peripherie im Zuge der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums neue Formen und Orte eines gesunden und gesund machenden Aufenthalts („Sommerfrische“) außerhalb der Stadt besetzt und ausgestaltet. Bestimmte Regionen wie der Semmering oder der Wienerwald werden durch bauliche Eingriffe als „Gesundheitslandschaften“ architektonisch gestaltet und medial konsumiert. Da diese Orte einerseits eine Bewegung nach außen markieren, andererseits eng mit der Stadt verwoben sind (z.B. durch die Nutzer/innen, die Architekten oder die Betreiber der Sanatorien in Purkersdorf oder in Pernitz [Sanatorium Wienerwald]), also wieder nach innen in die Wiener Diskussionen um Gesundheit und Hygiene zurück wirken, ist von einem wechselseitigen Verflechtungsverhältnis von urbanen Repräsentations- und Nutzungsformen in der Architektur und Hygienevorstellungen, die mit der Landschaft um Wien verbunden sind, auszugehen. Zusätzlich sind je nach konsumierender Gesellschaftsschicht unterschiedlich codierte Formen der Aneignung dieser Orte der Gesundheit in und um Wien zu berücksichtigen, die sich, je nach Zielpublikum, in unterschiedlichen Architekturmodi ausdrückten.

Zur Sprache kommen sollen neben konkreten baulichen Manifestationen von Hygienevorstellungen – wie etwa in Sanatorien, Spitalsbauten, Irrenanstalten, Bädern, etc. – auch räumliche und landschaftliche Kontexte, in denen sich in und um Wien eine Topografie der Gesundheit entwickeln konnte (Flussbäder in den Donauauen, Kursalons am Glacis, Spitalanlagen an den Hängen des Wienerwaldes etc.). Da diese spatialen Zusammenhänge heute vielfach überformt und nicht mehr wahrnehmbar sind, versteht sich der Workshop methodisch auch als Beitrag zu einer Archäologie von Gesundheits- und Hygienevorstellungen Wiens im 19. Jahrhundert. Der Workshop dient der inhaltlichen und methodischen Diskussion über den komplexen Zusammenhang von gebauter Umwelt und Hygienevorstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wien und Österreich stehen inhaltlich im Vordergrund, sollen aber durch internationale Perspektiven auf andere Städte kontextualisiert werden.

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